Sehnsucht nach Selbstbehauptung


Jenseits der Grenze schießen sie schon, mit Gewehren und bei denen - das schwöre Gott - sind Gewehre nicht bloß Metaphern. Hier läuft alles banal, man will sagen: ohne großes Aufersehen. Dieser tut dies, jener jenes. Wir machen den Unterschied zwischen "hier" und "dort" aus lauter Gewohnheit. Ich könnte du sein, die Reichen sind keine echten Reichen mehr. Mutig werden Hypothesen aufgestellt, mutig sie gleich widerlegt, und das ist nur anmutiges Ballett, Kunstform, überhaupt ist der einfache Mann nur noch eine Metapher, die es "in echt" (auch das können wir nur sagen) gar nicht mehr gibt. Drüben werfen sie Bomben, sie wissen sogar, auf wen sie zu werfen haben, denn immer haben sie ein Ziel, sie sind noch nicht so weit, dass sie sich selbst umbringen (was für eine Erfindung). Die Gewehre sind aus Stahl. Wir liefern ihn, denn irgendwie müssen wir den Krieg von uns halten und sei es, wir liefern ihn. Lieferzeiten müssen eingehalten werden. Unser Leben ist nicht ganz langweilig. Wir können viel wählen und und im Allgemeinen werden wir von der Masse an Dingen so überrascht, dass wir uns fragen, ob es das Ding ohne Masse gibt. Aber sicher. Hundert Dinge finden wir ohne Masse. Das aber sind Fragen, die gegen den Wind angehen, und gegen den ruft man bekanntermaßen schlecht an. Ich habe ein Telephon und kann anrufen, die Nummern und die Sicherheit sind mir gegeben. In unserem Nachbarland herrscht Krieg. Diesem Wort sind sie noch ganz verfallen, "Krieg" lässt noch ihre Augen funkeln. Sie wissen tatsächlich nicht, wofür sie kämpfen, fragt man sie, haben sie Wörter, die aber nur Namen sind. In den Schützengräben vermag das keiner zu sagen. Wir wissen auch nicht, wofür wir kämpfen. Unsere Waffen sind schließlich andere. Immerhin verspüren wir ja auch keinen Hass mehr, oder wenigstens haben wir ihn verlagert, in günstigere Regionen. Wir sind auskratzbar, nur eine leichte Oberfläche des Seins, wir spüren keine Schmerzen mehr. (2002/3?)


Ein merkwürdiger Text, sehr ungeordnet. Im "wir" schwebt etwas latent Kommunistisches (!), Pathetisches, Herrisches mit, das mir den Text sehr verdirbt. Welche überzeichnete Kulturgrenze (sie - wir) hier gezeigt wird, bleibt mir schleierhaft - die Anderen sind wohl nur eine psychologische Metapher ("Metapher" ist auch ein Wort des Textes), eine Tautologie (die Anderen sind anders). Ich lese sehr viel Antimodernismus und allgemeinen ("allgemein" ist auch ein Wort des Textes, genauso wie "immer") Oppositionismus aus dem Text. Vielleicht schwingt ein wenig Adorno mit (vermassendes Denken etc.) Nun, aus rein dokumentarischen Gründen finde ich den Text sehr interessant, zeigt er doch eine unterdrückte Kriegsbegeisterung für offene Konfrontationen, die sehr männliche Neigung, sich in der Selbstbehauptung zu beweisen. "Sich behaupten" bildet dann auch wohl das Motto dieses Textes, das im Gegensatz zum weicheren (empfundenen) "ohne Aufersehen in großer Gesellschaft" leben verstanden wird. Angst vor Mangel an Individualität spielt auch wohl eine Rolle. Den gesamten Text habe ich übrigens wiederentdeckt, als ich diesen Aphorismus gelesen habe, denn sonst besitze ich wenig Vorliebe für Selbstquälerei mit alten Texten.

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